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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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1./2. Novemberheft
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0102

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Drachen verliert. Kurze, runde Tülle mit vier Reliefovalen und
geometrischem örnament.

Zweckdienliche Mitteilungen erbeten an: Mr. Edgar Worch,
c/o. 'l'he 56th Street Galleries 6 Eeast 56th Street New York,
N. Y., oder an Edgar Worcli, Berlin W 10, Tiergartenstr. 2, oder
an die Geschäftsstelle des Internationalen Museen-Verbandes,
Hamburg 5, Museum fiir Kunst und Gewerbe.

Hutn Kongseß AofibßtiK
und aKgemetne Kun(twiflen{cbaft.

Oon Rofa Scfoaptne = Uambuug.

Der vierte Kongreß fiir Aesthetik und allgemeine Kunst-
wissenschaft, der in Hamburg vom 7. bis 9. Oktober getagt hatte,
stand im Zeichen eines genau präzisierten Themas: Raum und
Zeit. Dieses Grundmotiv hat die verschiedenen Vorträge zu einer
Einheit verschmolzen; der Beweis wurde erbraclit, daß Kongresse
nur dann fruchtbringend sind, wenn ein Hauptthema, mag es auch
noch so weit gefaßt sein, der Zersplitterung vorbeugt. Bei der
Problematik der Begriffe von Raum und Zeit sind die Geister mehr
als einmal, auch in sehr temperamentvollen Diskussionen, aufein-
ander geprallt, und doch spürte man etwas vom Zweck des Kon-
gresses, den Max Dessoir (Berlin), der erste Vorsitzende, daliin
definiert hatte, daß er neue Verbindungen unter den Wissenschaf-
ten schaffen wolle.

Die philosophische Eundierung bildete der meisterhaft auf-
gebaute Vortrag von Ernst Cassirer (Hamburg) „Mythischer, ästhe-
tischer und theoretischer Raum“. Ihm schlossen sich an: Albert
Görland (Hamburg) „Die Mode der Zeit als stilbildende Eaktoren“
und Hermann Friedmann (Helsingfors) „Raum und Zeit vom
Standpunkt des morpholgischen Idealismus“. Im Rahmen dieses
Berichtes felilt es an Raum und Möglichkeit philosophische
Probleme zu erörtern und den Untersuchungen über „Raum und
Musik“ (von Max Schneider, Halle) und „Zeit und Musik“ (von
Hans Mersmann, Berlin) nachzugehen.

Das Zeitproblem in der Dichtung wurde glänzend analysiert
von Hermann Eränkel (Göttingen): die Zeitauffassung in der
archaisch-griechischen Literatur: Indifferenz zu Beginn, iiber-
schwängliche Huldigung an Chronos im 5. Jahrhundert. Bei
Homer hat der Zeitbegriff gewissermaßen negativen Charakter,
Chronos ist leere Dauer, der 'l'ag das Gefäß fiir das Geschehen
aber gegenwartsfremd. Den Umschwung bringt die Lyrik, bei
Pindar ist Ghronos rnit Energie geladen, er ist der Verwirk-
Iichende, der allein die Wahrheit erhärtet. Aeschylos bereichert
in der Tragödie den Zeitbegriff durch die Vergangenheit. Die Ver-
lagerung der Zeit aus den Dingen in dem Erlebenden setzt ein.

Ebenso fruchtbar und bereichernd war der Vortrag von Karl
Vossler (Miinchen): die Einheit von Ramn und Zeit ein barockes
Draina. Die drei verschiedenen Stile: der mittelalterlich-antike,
der seine Auswirkungen in Spanien gefunden hat, den Renaissance-
Stil mit Einheit von Ort und Zeit, dessen Schauplatz Frankreich
ist, und der moderne mit Zeitausschnitten und Verwandlungsbühne
fiir Italien bezeichnend, wurden gegeneinander abgegrenzt und
aucli Shakespeare in den Kreis der Betrachtung einbezogen.

Fiir den Kunsthistoriker am bedeutsamsten waren die Unter-
suchungen iiber Raum und Zeit auf dem Gebiete bildender Kurist.
Heinz Werner (Hamburg) hat in seinem Vortrag „Raum imd Zeit
in den Urformcn der Kunst“ an vorzüglich gewählten Beispielen
nachgewiesen, in welchem Maße die Auffassung von Raum und
Zeit beiin primitiven Menschen durch seine magische Haltung be-
stinnnt ist. Die Wirklichkeit ist niemals verpflichtendes Vorbikl,
bei der Statue wird der Kopf als Sitz magischer Kräfte übergroß
gebiklet. Wenn Werner betont hat, wie wenig europäische Vor-
aussetzungen mit dem Weltbild des Primitiven übereinstimmen, so
gilt dies zweifelsolme fiir die Kunst der Renaissance und der auf
ihrer Auffassung fußenden Epochen. Dagegen hat die Kuiist des
hohen Mittelalters, als Niederschlag eines magischen Weltbildes,
eine Reihe von Ziigen, die der Auffassung des Primitiven nahe-
stelien, Verwandtes kann man auch in der Kunst des Expressionis-

mus nachweisen, trotz Wechsels in der Eormensprache. Die
Grundhaltung bewirkt, daß „im Unendlichen dasselbe sich wieder-
liolend ewig fließt“.

Eine Fiille neuer Probleme hat Alexander Dorner (Hannover)
in seinem Vortrag „Zur Räumvorstellung der Romantik“ ange-
schnitten. Das Raumgefiihl der Romantiker bildet den Ueber-
gang zwischen Altem und Neuem, zwischen dem perspektivischen
Raumbild der Vergangenheit und dem dynamischen des Expressio-
iiismus. So wird die Romantik „Umsteigestation“. In Runges
„Morgen“ berühren sicli räumlich getrennte Körper, Eiguren sind
in eine irrationale Landschaft eingeschrieben, ebenso löst sicli
ICaspar David Friedrich, um nur einige Beispiele herauszugreifen,
iu seinem „Kreuz iin Gebirge“ von einem festen Standpunkt und
maclit den Sprung vom Nächsten zum Fernsten. In verbliiffend
geistreicher Weise wurden Runge und Chagall („Ich und das
Dorf“), Friedrich und Rolilfs einander gegeniiber gestellt.

Der formvollendete Vortrag „Das neue Raumgefühl in Kunst
uud Musik der Gegenwart“ von Walter Riezler (Stettin), selir
interessant durcli den Hinweis auf Parallelerscheinungen in bil-
dcnder Kunst und Musik, hat sicli, soweit es sich um den Beginn
des lieuen Raumgefühls handelt, in beigebrachtem Rahrnen bewegt:
der Bruch mit dem perspektivischen Raumbild beginnt erst bei
Cezanue. Dem entspricht die Richtungslosigkeit des musikalischen
Raurnes bei Debussy.

Von den Eiihrungen, die im Anschluß an den Kongreß statt-
fauden, sei nur die von Oberbaudirektor Schumacher durch das
ueue Hamburg erwähnt. Planmäßig wird in Hamburg seit Jahren
an neuen Siedlungen gearbeitet. Auf dem Dulsberg ist eine neue
Stadt entstanden, iu der fiir 65 000 Menschen Wohnräume ge-
schaffen wurden. In Nordbarrnbeck, in der Jarrestraße imd an
anderin Ort wurden Städteviertel von kaum geringerem Umfang
gebaut. Diese durcli Griinanlagen unterbrochenen, nach festem
Plan angelegten Straßenzüge sind nicht akademisch auf dem Reiß-
brett entstanden, sie passen sich den Forderungen des Lebens au
und niitzen das vorhandene Gelände aufs äußerste aus. In ihrer
Schlichtheit und Sachlichkeit, in ihrem Verzicht auf allen Scliein,
liegt ilir Etlios und ihre Schönheit. Da an der zu lösenden Auf-
gabe, unter Wahrung grundsätzlicher Fragen, verschiedene Arclii-
tekten mitarbeiten, ist die Gefalir der Uniform so gut wie die der
Zersplitterung und Eigenwilligkeit vermieden. Etwas wahrhaft
Impouierendes ist entstanden. Der Weg fiihrt von Haus, Straße
und Platz zu einer nach festem Plan angelegten Stadt. Der Bau-
meister wird zum Städtebauer. Iti diesen Häusern, die dem be-
scheidenen Lebensstandard des Kleinbürgers und Arbeiters an-
gemessen, aus drei Zimmern und Wohnkiiche bestehen, gemein-
same Badezimmer, Waschküche usw. haben, die sich unt Höfe mit
Gartenanlagen gruppieren, wächst ein neues lebenstüchtiges Ge-
schlecht heran. Einen besonderen Akzent liaben die prachtvolleu
geräumigen Schulgebäude, die von Grünanlagen umgeben sind.
Die Reform iin Schulunterricht, die darauf abzielt, die schöpferi-
sclien Kräfte iin Kinde zu wecken und sein Geliirn niclit mit un-
verdautem Wissensstoff zu füllen, prägt sich schon äußerlich im
neuen Schulhaus aus. Hamburger Bildhauer und Maler wurden
herangezogen, um Aula und Treppenhaus festlich zu gestalten.
Trotz unserer Verarmung wird im neuen Hamburg eine viel groß-
zügigere und weitsichtigere Kunstpolitik getrieben als vor dem
Kriege.

Anläßlich des Kongresses fand eine Reihe von Ausstellungen
statt. Erwähnt seien die photographischen Ausstellungen in der
Kunsthalle: „Nutzbauten unserer Zeit“ und im Museum für Ham-
burgische Geschichte: „Gärten von Hamburg und Umgegend“.
Eine selir interessante Schau von Kinderzeichnungen wurde als
Beitrag zum Problem der Raum- und Zeitdarstellung vom Psycho-
logisclien Institut veranstaltet. Im Museum für Kunst und Gewerbe
war eine große Zahl von Gegenständen aus der Sammlung unter
dem Gesichtspunkt „Nachleben der Antike“ zu einer selir inter-
essanten Ausstellung vereinigt. Der Ralimen war selir weit ge-
spannt. Von Schmuck aus der Zeit der Völkerwanderung (lango-
bardischer Fingerring mit antiker Gemme, langobardischer An-
hänger mit Darstellung der drei Grazien, keltische Nachbildung
einer alexandrinischen Drachme) konnte man über das friihe

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